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Die Welt - Laute wie nicht von dieser Welt

Die Welt , 11.05.2011 Autor: Janina Harder Laute wie nicht von dieser Welt Innovative Musikszene trifft sich beim "blurred edges"-Festival Die Festwochen, die die Genres verschwimmen lassen, haben sich zu einem der wichtigsten Musikfestivals für zeitgenössische Musik in Hamburg entwickelt Es ist Dämmerlicht, nur einige Kerzen brennen. Die Kirche wirkt an diesem Abend, als sei sie nicht von dieser Welt. Wie aus dem Nichts umgeben den Hörer hohe, flötenartige Töne, von denen nicht feststellbar scheint, woher sie eigentlich kommen. Die Töne sind eine Charakteristik des Obertongesangs, der zum Auftakt des "blurred edges"-Festivals durch die St.-Petri-Kirche schallt. Hier lassen sechs Sänger und Sängerinnen die Komposition "Stimmung" von Karlheinz Stockhausen wieder aufleben. In einem Kreis sitzend, vollkommen konzentriert, erzeugen sie im Zusammenspiel Laute, die die meisten Konzertbesucher bislang eher als musische Untermalung menschlichen Gesangs in Antikfilmen gehört haben dürften. Teilweise auch in Horrorstreifen. Dann wieder ein Götter-Thema. Schließlich eine Art meditativen Gesangs, der an Schönheit nicht zu überbieten ist. Angenommen, man würde diese Klänge in den letzten Minuten seines Lebens hören, so würde man womöglich nicht als der unerfüllteste Erdenbürger von dieser Welt gehen. Dieses Musikerlebnis bietet sich bei einer der insgesamt 44 Vorstellungen, die noch bis zum 21. Mai im Rahmen des Festivals für aktuelle zeitgenössische Musik stattfinden. Das "blurred edges"-Festival des Verbands für aktuelle Musik Hamburg (VAMH) hält die vielfältigsten musikalischen Stile und Richtungen bereit. Eins ist ihnen allen gemeinsam: Sie spielen mit der Musik und ihren Hörern. Diese sind während der Darbietung komplett still, nicht einmal ein Räuspern ist zu hören - und lassen sich vom meditativen Charakter der Musik anstecken.Das wird nicht überall so sein, denn diese Musik ist nur ein kleiner Zweig der großen Gesamtheit an Stilrichtungen, die man auf dem Musikfestival erleben kann. Es werden Konzerte mit komponierter, improvisierter und elektronischer Musik erwartet. Soundart, Klang- und Videoinstallationen sind ebenso dabei wie Lesungen, Ausstellungen, Vermittlungsprojekte und Open-Air-Performances. "Die Grenzen zwischen den Genres und unterschiedlichen Szenen verschwimmen zu lassen, das ist ein Charakteristikum dieses Festivals", sagt Jan Feddersen, Mitarbeiter im Verband für aktuelle Musik Hamburg, der das Festival initiiert hat. Die "blurred edges"-Festwochen gibt es seit fünf Jahren, sie haben sich in dieser Zeit zu einem von Hamburgs wichtigsten Musikfestivals für zeitgenössische lokale Musik entwickelt. Es zeigt sowohl die neuen und innovativen Musikproduktionen der vielseitigen Hamburger Szene als auch von einer Vielzahl internationaler Künstler und Ensembles. So zum Beispiel das Jazzquartett "Tisch 5", das von sich sagt, "ein Spiel, einen Tanz und Kampf mit allen Genres der Musikgeschichte zu führen"; freie Musik wird hier ad hoc und unwiederholbar komponiert. Ebenso einen Abstecher wert: Musiker und Aktionskünstler Phil Corner, das Hamburger "Tonart Ensemble" und das Komponisten-Kollektiv "Nelly Boyd".Auch die Veranstaltungsorte könnten unterschiedlicher nicht sein: Das Gängeviertel lädt ebenso ein wie die Staatsoper, in der St.-Petri-Kirche findet zur selben Zeit ein Auftaktkonzert statt wie in der Hörbar. Weitere Darbietungen werden neben dem Jazzclub im Stellwerk und dem Golden Pudel Club auch in der Hamburger Kunsthalle und der Hochschule für Bildende Künste zu sehen sein. "Feinste Schwebungen - kaum Ausbrüche - alle Sinne sind wach und ruhig. In der Schönheit des Sinnlichen leuchtet die Schönheit des Ewigen", hat Karlheinz Stockhausen die intendierte Wirkung seines Werkes einst beschrieben. Worte, die enorme Anforderungen an die Umsetzung stellen. Die Koloratursopranistin Frauke Aulbert und ihre Mitstreiter nahmen sich des Stückes an und schafften es nach einem Jahr Proben, die Komposition eindrucksvoll wiederzugeben. Kein leichtes Unterfangen. In dem präsentierten Werk wird das sogenannte vokalische Obertonsingen angewandt, bei dem Stimmtöne möglichst leise und bestimmte Obertöne dominierend gesungen werden. Erzeugt werden sie nur schwingend in Stirn- und Kopfhöhlen, mit langen, ruhigen, ausgeglichenen Atemzügen. "So glaubt das Ohr, neben dem Grundton eine zweite Schallquelle wahrzunehmen", erklärt Aulbert. Ein wahrhaft außerirdisches Erlebnis eben.

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