So, 21.12.2008, 14:00 Uhr
»Ich fühle luft von anderem planeten«
Arnold Schönberg und die Folgen: Veranstaltung zum 100. Geburtstag der Neuen Musik Am 21. Dezember 2008 jährt sich zum hundersten Mal die Uraufführung eines Werkes, das den Bruch mit der musikalischen Tradition besiegelte: Arnold Schönbergs Streichquartett in fis-moll op. 10. Dessen letzter Satz, der erste ohne eine festgelegte Tonart, vollzieht den Durchbruch zur freien Atonalität. Und nichts darin bringt den unerhörten Charakter dieser Zeitenwende besser auf den Begriff als die erste Zeile des von Schönberg vertonten Gedichtes: »Ich fühle luft von anderem planeten«. Auf der Veranstaltung soll es daher zum einen darum gehen, mit dem musikalischen Gehalt des Streichquartetts zugleich auch dessen - wenn man so will: - geschichtsphilosophischen zu erschließen. Zu analysieren ist, mit anderen Worten, der musikalische Prozess, den das Schönbergsche Werk gegen die zur zweiten Natur geronnene Dur-Moll-Tonalität führt: Denn in der auskomponierten Kritik jenes tonalen Schemas, welches noch in der höchsten bürgerlichen Kunstmusik die harmonische Auflösung aller Konflikte vorherbestimmt hatte, findet die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft genauso ihren musikalischen Niederschlag wie die nach dem Verhältnis von Tradition und Fortschritt, von Sache und Subjekt, von Freiheit und Notwendigkeit. Zum anderen wird Thema sein, inwieweit tatsächlich der Neuen Musik seither gelungen ist, was die freie Atonalität versprach: musikalisch Geschichte zu schreiben, die nicht bloß Schein bleibt. Anhand exemplarischer Stationen der musikalischen Moderne wäre u.a. zu diskutieren: - warum die systematische Entfaltung der musikalischen Produktivkräfte allzuselten mit einem Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit einherging; - wie überhaupt kompositorische Autonomie denkbar ist, die objektiv, d.h. gesellschaftlich keinen Gegenpart und keinen Widerhall findet; - warum, im Vergleich zu anderen Kunstformen, die Avantgarde gerade in der Musik dem bürgerlichen Bewusstsein so ganz und gar äußerlich zu bleiben scheint; - wie es also kommt, dass eine Zäsur wie die Schönbergsche jetzt schon hundert Jahre andauern kann, ohne an Aktualität einzubüßen. Die Veranstaltung richtet sich nicht bloß an musikalisch Vorgebildete, sondern genauso an Interessierte, die mit der Materie wenig vertraut sind; gedacht ist sie nicht zuletzt als Einführung sowohl in kritisch-theoretische Musikphilosophie als auch ins Hören Neuer Musik. Umfang der Veranstaltung ist ca. vier Stunden (je nach Diskussionslaune natürlich auch länger), Kaffee und Kekse sind vorrätig. Das Streichquartett op. 10 wird in der Einspielung des Arditti Quartetts und Dawn Upshaw (Sopran) vorgestellt. Wer sich gerne durch Lektüre vorbereiten möchte, den verweisen wir auf den Artikel zum Thema in der aktuellen Dezember-Ausgabe der Zeitschrift 'Konkret'. Referent: Lars Quadfasel Eine Veranstaltung der Hamburger Studienbibliothek in Zusammenarbeit mit der Blinzelbar.